Vortrag

Holocaust und digitale Spiele – IHRA Plenum, Leipzig

Für das Leipziger Plenum der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) stellte ich in einem zehnminütigen Impulsvortrag vor, wie digitale Spiele mit dem Holocaust umgehen. In diesem Zusammenhang musst ich auch tiefer darin einsteigen, wie unterschiedlich verschiedene Spielformen Faschismus und den Zweiten Weltkrieg darstellen. Mir ging es vor allem darum, in dem Kreis aus Diplomat:innen und anderen Regierungsakteur:innen zwei wesentliche Punkte deutlich zu machen: Digitale Spiele funktionieren nach andersartigen Regeln als ein Film oder ein Buch. Und so leisten sie einen besonderen Beitrag zur Erinnerungskultur eben auch für diese Themen.

Die IHRA verschreibt sich dem aktiven Erinnern an den Holocaust, um Hass, Antisemitismus und Genoziden weltweit mit Forschung und Bildungsprogrammen entgegen zu treten. (Abb. Screenshot Webseite IHRA)

Die deutsche Bundesregierung hält gegenwärtig den Vorsitz in der IHRA. Zunächst war ich so überrascht wie irritiert, weil mir das Auswärtige Amt auf den Anrufbeantworter gesprochen hatte. Dass man mich für die IHRA-Konferenz als Experte zu digitalen Spielen hören wollte, ehrt mich sehr und freut mich. Offenbar hatte der Pitch Jam „Memory Culture with Games“ die Aufmerksamkeit geweckt, den die Stiftung EVZ und die Stiftung Digitale Spielkultur zu dem Themenkomplex im Sommer 2020 veranstalteten, und den wir als Arbeitskreis Geschichtswissenschaft und Digitale Spiele (AKGWDS) fachlich berieten. Um den Überblick nun für das Leipzig Plenary bat mich Botschafterin Michaela Küchler als Sonderbeauftragte der Bundesregierung für Beziehungen zu jüdischen Organisationen, Holocaust-Erinnerung, Antisemitismus-Bekämpfung und internationale Angelegenheiten der Sinti und Roma. Mein Vortrag solle den etwa 200 Zuhörer:innen aus 43 Ländern einen Einstieg geben. Von denen aber seien die meisten zunächst grundsätzlich mit digitalen Spielen als Erinnerungsmedium bekannt zu machen. In der Vorbereitung stellte sich also als größte Herausforderung dar, all die genannten und gleichermaßen wichtigen Intentionen in nur zehn Minuten zu transportieren.

Bevor ich an der Reihe war, verfolgte ich interessiert, wie die Abgesandten zu weltweit bedrückenden Themen in der Form höfliche, aber in der Sache kräftige Stellungnahmen austauschten: zu den antisemitischen Äußerungen von Regierungsvertretern gegen George Soros in Ungarn, Museumsgründungen durch Revisionisten, die Lage der Roma und Sinti in Europa und die erschütternde Behandlung der muslimischen Uiguren in China. Nun mögen Sie fragen: Dort sollten digitale Spiele hinein passen? Ich kann nur entgegnen: Ja, denn die historischen Inszenierungen digitaler Spiele stellen international ein Problem von einem vergleichbaren Rang dar. Schließlich bilden sie als Kulturgegenstand unentwegt historische Vorstellungen unterschiedlicher Gesellschaften ab und transportieren sie quer über den Globus in die verschiedensten Kulturkreise. Gerade der Zweite Weltkrieg ist ein sehr beliebtes Szenario in der ganzen Welt. So beeinflussen sie historische Vorstellungen und welche Lehren man aus ihnen zieht. Gleichzeitig bieten die medialen Eigenschaften digitale Spiele aller Probleme zum Trotz auch viele Lösungen, wenn man sie denn erkennt und sinnvoll wie zielgerichtet einsetzt.

Die Plenumstagung in Leipzig fand aufgrund der Pandemie in einer beeindruckend gemanagten Video-Konferenz statt. (Abb. Screenshot Webseite IHRA)

Weil der Vortrag die historischen Narrative fokussieren sollte, konnte ich in einem ersten Schritt nur rudimentär eintauchen, was digitale Spiele als ein Medium essentiell von anderen unterscheidet. Mir ging es darum, diese Besonderheiten als Chancen begreiflich zu machen. „The fascist Elephant in the Room“ behandelt die Darstellungsformen des Themenkomplexes, und wie digitale Spiele dadurch leider zu häufig revisionistische und apologetische Motive anfüttern. Mit „Memories around a void“ kam ich darauf zu sprechen, was aus Auslassungen und Gewichtungen in den Spielen für das erinnerungskulturelle Gesamtbild folgt. Schließlich zeigte ich, warum Tabuisierung keine Lösung sein kann: Seit Jahrzehnten gibt es extremistische Aktivitäten, digitale Spiele zur politischen Agitation zu missbrauchen. Wenn man auch einräumen muss, dass manche Entwickler:innen vielleicht auch nur unbedarft handeln, gibt es doch auch sehr klare Fälle von Propaganda. Um nicht auf einer so negativen Note zu enden, schloss ich meinen Vortrag mit jüngeren Entwicklungen, die Hoffnung auf einen klügeren Umgang im Medium mit Holocaust, Nazi-Herrschaft und dem Zweiten Weltkrieg machen. Benötigt werden nicht Verbote und Tabus, sondern sinnvolle Gegenangebote. Die von mir zum Schluss gezeigten Beispiele führen in vielversprechende Richtungen.

Innerhalb von zehn Minuten versuchte mein Vortrag das komplexe Thema in verschiedene Aspekte zu strukturieren. (Abb. eigener Screenshot)

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