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Projekt: Promotion – Digitale Welten als Lehr- & Lernumgebungen

Digitale Welten sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Ob sie nun interaktiv sind oder nicht, wie zum Beispiel als Animationen kunterbunter Werbebotschaften: sie sind ein fester Bestandteil der menschlichen Zivilisation geworden. Bei ihren interaktiven Varianten wurden vor allem die Videospiele ein weit verbreitetes Massenphänomen – mit allen positiven (z.B. fordernde Freizeitgestaltung) und all ihren negativen Folgen (z.B. Abhängigkeitserscheinungen). Diese Entwicklung kann man bedauern oder begrüßen, in jedem Fall muss man sich ähnlich der Globalisierung wohl damit arrangieren.

Die interaktive Seite der digitalen Welten jedoch bieten Eigenschaften, die weit über die reine mediale Berieselung hinausgehen. Videospiele und im engeren Sinne die hier untersuchten Computerspiele schaffen eine den Spieler umgebende virtuelle Realität, die sich per se dadurch auszeichnet, dass ihre Regeln und Rahmen erlernt werden müssen. Dabei gibt es sicherlich Titel, bei denen mit der Kontrolle des Abzugsfingers bereits der zentrale Lernprozess erschöpft ist, die meisten Spiele jedoch sind außerordentlich komplex und erfordern eine ebenso umfassende Einarbeitung.

Über verschiedenste Mechanismen sorgen ihre Hersteller dafür, dass diese Komplexität durch Lernhilfen reduziert, durch stillschweigende Standards als bekannt vorausgesetzt, beziehungsweise durch eine ansteigende Lernkurve langsam aufgebaut wird. Dabei unterscheidet sich der Lernvorgang in First-Person-Shootern (FPS, od. Ego-Shooter) deutlich von dem in Echtzeit-Strategie-Titeln oder der Kollektiverfahrung in Massive Multiplayer Online Role-Playing Games (MMORPGs).

Während die ersten beiden Beispiele noch am Ehesten mit dem klassischen (konservativen) Bild einer Lehrer-Schüler-Beziehung (1on1) in Einklang zu bringen sind, entstehen im Segment der MMORPGs völlig neue Formen kollektiver spielerischer Lernerfahrung. Dabei sind auf Basis virtueller Online-Lernumgebungen vollkommen neue Ansätze besonders des multiperspektivischen Lernens möglich (Collaborative Learning).

Blizzard WOW MMORPG
Abb: Blizzards World of Warcraft ist das bekannteste MMORPG weltweit.

2007 war sicherlich die virtuelle Online-Welt Second Life das „trendigste“ Beispiel für die Nutzungsmöglichkeiten digitaler Spiele als Lehr- und Lernumgebung, jedoch entstehen dort meist nur Abbilder unserer eigenen Realität. Also immer nur Kopien desjenigen, was wir bereits an schulischen oder universitären Realitäten kennen. Nur selten wagen sich Angebote darüber hinaus.

Insbesondere für die Vermittlung historischer Inhalte sind aber wesentlich weiter gehende Möglichkeiten denkbar. Beispielsweise könnte eine Plattform für den schulischen oder universitären Unterricht mit Hilfe der digitalen Darstellung einer lebendigen mittelalterlichen Stadt ungeahnte multiperspektivische Zugänge für Schüler, Studierende und auch Lehrende eröffnen. Ähnlich wie in heutigen MMORPGs könnte das Wissensangebot eingebracht werden. Bereits in den heutigen Spielen werden Aufträge und Informationen durch von einer Software gesteuerte, bedingt intelligente, nicht-menschliche Akteure in die Spielwelt eingebracht. Durch verschiedene Rollen, in welche die Nutzer der Lernumgebung schlüpfen könnten, ließen sich jeweils unterschiedliche Zugänge zu den Wissensinhalten realisieren. So könnte ein Nutzer als Knecht, ein anderer aus Sicht eines Adligen einunddenselben historischen Prozess miterleben und danach über seine Erlebnisse im Unterrichtsplenum berichten.

Blizzard WOW MMORPG
Abb: Das Spiel „Die Siedler“ von Ubisoft simuliert mittelalterliche Städte

Dabei stellt sicherlich eines der Hauptprobleme die Tatsache dar, dass „Tatsachen“ in der historischen Wissenschaft bestenfalls ein Konstrukt sind, schlechtestenfalls jedoch ihre Subjektivität durch die Illusion einer detailgetreuen Lehrumgebung – in diesem Fall einer mittelalterlichen Stadt – nicht mehr hinterfragt wird. Es käme jedoch darauf an, in welcher Weise und wie komplex die Lerninhalte organisiert werden. Wenn zum Beispiel der Text einer mittelalterlichen Quelle unkommentiert in der Spielebene der Steuerung (Funktionalebene) als Textfenster erschiene, wäre die beschriebene Gefahr vermutlich groß. Allerdings könnte das Quellendokument auch an einer öffentlichen Tafel der virtuellen Stadt – also in der Spielebene – angeschlagen werden und einige Stadtbewohner streiten sich trefflich davor über ihren Inhalt. In diesem Falle wäre die Distanz desSchülers oder Studenten gewahrt, ein Gefühl für die Subjektivität würde gefördert.

Um hier nicht weiter ins Detail zu gehen, sei abschließend noch bemerkt, daß zum gegenwärtigen Zeitpunkt meiner Untersuchungen weder der ablehnenden Position gegen digitale Welten als Lernumgebung gefolgt werden kann, noch einem allzu euphorischen Gedanken an eine Revolution der Lernsysteme im Bildungssystem. Lohend erscheint jedoch der Ansatz, sich einmal grundlegend und wissenschaftlich mit den Lehr- und Lernprozessen in MMORPGs zu befassen. Daraus sollen sich zunächst Empfehlungen ableiten, in welche Richtungen sich virtuelle historische Lernspiel-MMORPGs als ein weiteres Element schulischen und universitären Lernens entwickeln könnten.

Zu vermuten steht jedoch auch, dass diese virtuellen Welten den herkömmlichen Unterricht oder das universitäre Seminar nicht ersetzen können – zumindest nicht mit den gegenwärtigen Möglichkeiten. So wie einst die Tonaufzeichnung in den Unterricht eingang fand, der Film oder das Buch, räume ich jedoch auch MMORPGs ein, einen etablierten Platz als Lehr- und Lernmittel des historischen Unterrichts zu gewinnen. Mindestens gilt jedoch festzuhalten, dass die Potentiale groß sind – schauen wir also genauer hin.

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