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Magisterarbeit: Der chinesisch-sowjetische Konflikt und seine Bedeutung für die Entwicklung der Deutschen Ostpolitik am Ende der Sechziger Jahre in der Rezeption westdeutscher Printmedien

Gefechte am Ussuri

Als im Frühjahr des Jahres 1969 im Fernen Osten der Sowjetunion Schüsse fielen, hielt die Welt den Atem an. Mit den Gefechten erreichten die bereits seit längerer Zeit bestehenden Spannungen mit dem kommunistischen China eine bis dahin ungeahnte Schärfe. Am fernöstlichen Fluss Ussuri, wo die Gefechte im März 1969 zum ersten Mal offziell bekannt wurden, bekriegten sich nicht irgendwelche kommunistischen Mächte, es handelte sich um die beiden bevölkerungsreichsten Länder und beide besaßen ein zwar asymmetrisch verteiltes, aber doch erhebliches atomares Zerstörungspotential.

Beide Großmächte lieferten sich nicht das Jahr hindurch am Fluss Ussuri und an der kasachischen Grenze einen Streit nur um minimale Gebietsansprüche, die auf den ersten Blick nichtig erscheinen mussten. Zwischen den Großmächten ging es zwar vordergründig um die Zugehörigkeit des kleine Eilands Damanskij bzw. chinesisch Tschen Pao, das inmitten des Flusses Ussuri lag. Hier mischte sich eine Auseinandersetzung um historische Grenzen aus russischem Kolonialerbe mit einem intrakommunistischen Streit um die ideologische Deutungshoheit innerhalb der kommunistischen Bewegung, die sowohl Moskau wie auch Peking für sich beanspruchten. Seit dem Tode Stalins schwelte der ideologische Streit und hatte sich seit den frühen Sechziger kontinuierlich verschärft.

Mao und die kommunistische Ideologie

China akzeptierte nach dem Ableben von Josef Stalin 1953 nicht mehr die von der Sowjetunion vorausgesetzte Weltführerschaft von Moskau in der kommunistischen Bewegung. Die chinesischen Kommunisten forderten vielmehr eine gleichberechtigte Beteiligung an allen Entscheidungen. Mit in sich schlüssiger ideologischer Loyalität zum Marxismus-Leninismus bewerteten sie vor allem die Annäherungen zwischen der Sowjetunion und den westlichen Mächten als Verrat an der kommunistischen Sache – als Revisionismus und Abkehr von der kommunistischen Revolution.

Gerade die Breschnew-Doktrin war den chinesischen Überlegungen ein Schlag ins Gesicht, behauptete sie doch eine nur begrenzte Souveränität sozialistischer Staaten, die sich dem von Moskau verordneten Gesamtinteresse der kommunistischen Bewegung unterzuordnen hätte.

Durch die „beschränkte Souveränität“ erreicht der ideologische Streit die Grenzen

Entwickelt zur Legitimation der Invasion von Warschauer Pakt-Truppen in die Tschechoslowakei 1968, um die dortigen Reformbemühungen zu zerschlagen, zeugte die Doktrin nach chinesischer Auslegung von einem Rückfall der Sowjetunion in ein imperialistisch-kolonialistisches, und damit prä-revolutionäres Stadium. Damit sei die sowjetische Anführerschaft endgültig verwirkt und der sowjetische Staat sogar als Feind zu betrachten.

China fokussierte sich allerdings auf die Führungspersönlichkeiten – das sowjetische Volk betrachtete man weiterhin als Brudervolk. Da die Sowjetunion sich in chinesischer Lesart jedoch als Staat zu einem Imperialisten verwandelte, war Peking spätestens ab 1956 auch nicht mehr bereit, die seit 1860 bestehende Frage des Grenzverlaufes im Fernen Osten weiter ruhen zu lassen.

Die Schärfe der chinesischen Angriffe richtete sich seit der Kulturrevolution von 1966 zusätzlich nach innenpolitischen Hintergründen. So folgte beispielsweise auf die Gefechte 1969 überraschend der chinesische Parteitag, in dem die Militärs erheblich stärkte. Ein Zusammenhang ist naheliegend.

Medien als Waffen

Dieser Konflikt wurde nicht nur mit Waffen ausgetragen. Die Sowjetunion unterrichtete von sich aus die Medien durch Presseerklärungen und die Regierungen der westlichen Staaten durch Botschafterbesuche über die Entwicklungen. Der Westen reagierte mit einer Mischung aus Erstaunen, Vorsicht und Misstrauen auf diese neue Offenheit.

Denn die Invasion der Sowjetunion in die Tschechoslowakei hatte im August 1968 die internationalen Bemühungen der Entspannung seit 1963 jäh beendet. Sie hatte allen Beteiligten im Westen vermittelt, dass die Sowjetunion noch immer bereit war, Waffen zur Unterdrückung des Ostblocks einzusetzen.

Die Wirkung auf die Bundesrepublik

Nach der Niederschlagung setzte in der Großen Koalition in Bonn eine intensive Diskussion ein, ob die Neue Ostpolitik der Bundesrepublik seit 1966 nun gescheitert war oder ob es noch Perspektiven gab. Dieser Streit lähmte die Koalition, da die CDU überwiegend von einem Scheitern ausging, die SPD hingegen ihren Kurs der Entspannung fortsetzen wollte. Die einzige Opposition, die FDP, durchlief eine erneuernde Entwicklung in der Ost- und Deutschlandpolitik, während der sie einen Generalvertrag mit der DDR und eine Fortführung verständigender Außenpolitik forderte.

Damit erhöhte sie in neben anderen auch in diesen Bereichen den Druck sowohl auf die CDU als auch die SPD. Schließlich standen im September des Jahres 1969 Bundestagswahlen bevor, so dass sich in dieser Lage aus der Deutschlandpolitik ein entscheidendes Wahlkampfthema entwickelte. Die FDP formulierte prägend: „Weg mit den alten Zöpfen“ und meinte damit vor allem den westdeutschen Alleinvertretungsanspruch für alle Deutschen und die damit einhergehende Hallstein-Doktrin.

Neue Freundschaften

Mitten in die bundesdeutschen Auseinandersetzungen des Vorwahlkampfes drang die Nachricht von den kriegsähnlichen Zuständen zwischen der UdSSR und Rotchina, die beide Parteien in der weltweiten Öffentlichkeit zu Propaganda nutzten. Viele Kommentatoren rätselten besonders um die Frage, was die Sowjetunion bewog, die Differenzen einem breiten und westlichen Öffentlichkeit sowie in diplomatischen Kreisen offen zu legen. Die Verwirrung wurde umso größer, als bekannt wurde, dass Moskau seine Verbündeten im Warschauer Pakt nicht von einer Verteidigung seiner Ostgrenze im Bündnis überzeugen konnte.

Daher erging aus Budapest von der zuständigen Konferenz des Warschauer Pakts ein Appell nach einer europäischen Friedens- und Sicherheitskonferenz, der ähnlich 1966 geäußert worden war, sich jedoch 1969 jeglicher Polemik gegen die Bundesrepublik Deutschland und den Westen enthielt. Umso bedeutsamer war die Sachlichkeit vor dem Hintergrund, dass man in Moskau öffentlich eine Verbindung zwischen den beiden Krisen in Februar und März 1969 um die Bundespräsidentenwahl in Berlin, angeblich von Bonn provoziert, und den von China angeblich provozierten Gefechten in Fernost gezogen hatte.

Die Fragestellung der Magisterarbeit

Für dieser Lage untersucht meine Magisterarbeit, welche Bedeutung ausgewählte deutsche Printmedien dem kriegerische Höhepunkt des chinesisch-sowjetischen Konfliktes für die Entwicklung der Deutschen Ostpolitik zusprachen.

Hierfür sollen die in den Printmedien veröffentlichten Meinungen zur Ostpolitik und zum chinesisch-sowjetischen Konflikt erfasst, ausgewertet und einander gegenüber gestellt werden. Die Ereignisgeschichte des chinesisch-sowjetischen Konfliktes rückt dabei in den Hintergrund, entscheidend ist die Auswertung seiner Rezeption in tagesperiodischen Zeitungen.

Für die Untersuchung wird der Zeitraum zwischen den ersten Schüssen am Ussuri vom 2. März 1969 bis in die Tage kurz nach der Debatte des Bundestages um die Deutschland-Politik am 25. April 1969 abgebildet.

Methodik: „Bedeutung“ des Konflikts

Da die Tagespresse die öffentliche Meinung beeinflusste, indem Redakteure die fernöstliche Eskalation interpretierten und Zusammenhänge zur westdeutschen Ostpolitik und der internationalen Politik herstellten, erlauben die Ergebnisse der Auswertung Rückschlüsse auf die Meinungsbildung bestimmter politischer Lager.

Denn eine Redaktion, die einer gewissen politischen Ausrichtung nahe steht, läßt folgende Einschätzungen zu: einerseits handelt es sich bei der Art ihrer Berichterstattung um Schlussfolgerungen, die in dieser politischen Richtung nahestehenden Gesellschaftsgruppen verbreitet sind, und andererseits übt das Printorgan einen Einfluss auf die Meinungsbildung dieses Bevölkerungskreises aus. In beiden Fällen ist eine inhaltliche Nähe zwischen Berichterstattung einer Zeitung und der Meinungsbildung ihres gesellschaftlichen, politischen Spektrums zuzugestehen.

Der Budapester Appell und seine Wirkung sind bislang nur wenig erforscht – wie er jedoch vor dem Hintergrund einer im Vergleich zu den ersten zwanzig Jahren der Bonner Republik deutlich geänderten politischen Landschaft auf die Zeitgenossen verschiedener politischer Ausrichtungen wirkte, lässt sich aus oben genannten Gründen durch die Auswertung verschiedener, täglich erscheinender Printmedien annähern.

Vorgehensweise

Methodisch wird auch aus diesem Grund von einer reinen inhaltsanalytischen selektiven Auslese bestimmter Beiträge abgesehen – üblich wäre hier die Beschränkung auf Kommentare und andere wertende Beiträge einzelner Redakteure. Nur eine vollständige statistische Auswertung aller Beitragsarten ermöglicht eine Aussage über die Bedeutung, die eine gesamte Redaktion einem politischen Thema zuschreibt. Eine Beschränkung erfolgt daher nur dahingehend, dass allein das erste politische „Buch“ der Tageszeitungen erfasst wird, da hier die wichtigsten aktuellen Nachrichten und Kommentare durch die Redaktionen positioniert werden. Über die kommentierenden und wertenden Beiträge wird zusätzlich eine inhaltsanalytische Arbeitsweise durchgeführt.

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