Computerspielemuseum Berlin Eingang Front
Termin

Polnisch-deutsche Erinnerungskultur in digitalen Spielen – Podiumsdiskussion, CSM Berlin

Mit einer Podiumsdiskussion eröffnete das Computerspielemuseum (CSM) Berlin am 2. Oktober 2024 die aktuelle Sonderausstellung. Zusammen mit dem Auswärtigen Amt und dem polnischen Institut für Nationale Erinnerung diskutierte ich auf dem Podium über die Initiativen aus Polen mit digitalen Spielen sowie die Gameskultur zum Weltkriegsgedenken. Dazu gibt es ja schon ein breites Spektrum an Beispielen aus einer aktiven kommerziellen Entwicklerszene – nun präsentierten die Aussteller auch ihre aufwändigen Beiträge als staatliche polnische Bildungsinitiative. Und es gibt einiges dazu zu sagen.

Die Wanderausstellung gastiert im CSM durch die Zusammenarbeit mit dem polnischen Institut für Nationales Gedenken (IPN Instytut Pamięci Narodowej). Adrianna Paradowska, stellvertretende Leiterin der Abteilung Neue Technologien, und Dr. Filip Gańczak, zuständiger Historiker des IPN, sowie Dimo Boehme als Vertreter des Auswärtigen Amtes und ich als Public Historian besprachen auf dem Podium die interaktive Wanderausstellung. Wir diskutierten das bilaterale Verhältnis und die Rolle der Geschichte, die gezeigten Computerspielprojekte zum Zweiten Weltkrieg und unterschiedliche Methoden des Umgangs. Diesen Darstellungsformen stellte ich zahlreiche kommerzielle Beispiele gegenüber, die ein weites methodisches Spektrum illustrieren – und zwar auf polnischer wie auf deutscher Seite. Moderiert wurde der Abend von Martin Görlich, dem Geschäftsführer des CSM. Die polnischen Partner stellten eine bilinguale simultane Übersetzung bereit – bemerkenswert und lobenswert.

Führt die Dauerausstellung des CSM durch die Geschichte von Hard- und Softwarekultur, so runden thematisch wechselnde Sonderausstellungen das historische Bild ab. (Screenshot Webseite, nol.)

Die Aktivitäten des IPN für eine bewusste nationale Geschichtspolitik in Polen sind nicht nur dort umstritten. Auch ich muss kritisch anmerken, dass oft soldatische, kämpferische Heldenmythen im Vordergrund stehen. Damit ist die Spannweite methodischer Zugänge durch Spielmechaniken auf Geschichte entsprechend verengt. Insbesondere rechtskonservativen, nationalistischen Kreisen dienen solche Narrative gern zu patriotischer Verehrung, weniger zu bildenden Zwecken wie der Aufklärung über historische Zusammenhänge oder mahnendem Gedenken. Auf der anderen Seite sieht Polen zurecht wichtige Aspekte der eigenen Geschichte im europäischen Diskurs unterrepräsentiert. Dafür, dass Polen und Deutschland eine so wichtige europäische Achse bilden, bleibt die Geschichte unserer polnischen Nachbarn in der deutschen Erinnerungskultur und schulischen Lehrplänen erheblich unterrepräsentiert.

Die im CSM ausgestellten Spiele des IPN sind kostenlos auf der Distributionsplattform Steam zu finden. Eines behandelt den Warschauer Auftstand mit „Warsaw Rising: City of Heroes“, das die Version des 2019 erschienen Taktikspiels „Warsaw“ substantiell verändert. Dr. Hannes Burkhardt weist in der Datenbank „Games und Erinnerungskultur“ der Stiftung digitale Spielekultur zwar im Vergleich mit dem Ursprungsspiel auf die Änderungen hin, erläutert sie jedoch nicht näher. Ohne hier ins Detail gehen zu können, ist mir doch für den polnisch-deutschen Austausch ein differenzierter Blick wichtig: Die aktualisierte Variante bereitet den chronologisch exakten Verlauf narrativ linear auf. Für den Schulunterricht mag das auf den ersten Blick als kluge Entscheidung erscheinen. Durch die Linearität ändert sich jedoch die historische Aussage. Die ursprüngliche Spielversion besaß einen übergeordneten Management-Anteil, in dem Spielende die Ressourcen des Widerstands auf die Stadtteile Warschaus verteilen mussten. So ergab sich nicht nur ein wohlüberlegter Rückzugskampf, die Dauer war auch nicht auf die 63 Tage des Aufstands festgelegt. Daraus ließen sich die moralische Unterstützung aus den Stadtteilen und die historische Ungewissheit des Ausgangs nachempfinden.

Ändert sich diese Taktische Ebene auch nicht, so folgen doch die übergeordneten Spielmechaniken in der neuen Version anderen Methoden und ändern so die historischen Aussagen. (eigener Screenshot, nol., Warsaw 2020)

Als zweites Angebot thematisiert „Aviators“ als 3D-Actionspiel die teils erstaunlichen Leistungen polnischer Piloten und Pilotinnen, die ihre Heimat erst von Frankreich, dann von England aus unterstützten. „Cypher“ handelt drittens dagegen von den kriegsentscheidenden Dechiffrierungen und Panzerzügen im polnisch-sowjetischen Krieg 1919-1921. Bei ihnen allen sind die methodischen Wirkungen der Spielmechaniken auf die dargestellte Geschichte als Inhalt für Spielende nicht selbsttätig und allein zu entschlüsseln.

Die zugehörigen Lehrmaterialien bietet das IPN auf der Webseite frei an, bislang aber nur auf Polnisch und Englisch. Sie werfen zudem viele methodische Fragen auf, müsste der Unterrichtsablauf die Spiele doch für einen sinnvollen Einsatz zentraler einbinden. Aktuell adressieren sie vor allem das polnische Kerncurriculum. Das polnische soldatische Heldentum bewusster zu machen, ist sicherlich methodisch nicht unproblematisch in einem Geschichtsunterricht. Ein solcher Zugang wäre im deutschen Geschichtsunterricht wohl in keinem Bundesland zu vermitteln. Letztlich müssten aber deutsche Geschichtsdidaktiker erörtern, wo diese Spiele an das deutsche Geschichtscurriculum andockbar wären – und wie methodisch heranzugehen wäre. Vielleicht auch durch den Vergleich von polnischen und deutschen Unterrichtstraditionen. Die Diskussion darüber erscheint mir jedenfalls sehr wertvoll.

Ähnlich wie bei der Veranstaltung „Serious Games und das Erinnern an den NS-Terror“ mit dem Pilecki-Institut in Berlin im Oktober 2023 (Video dort verlinkt) habe ich mich deshalb auch hier gern einem offenen polnisch-deutschen Diskurs gestellt. Im Gespräch steuerte ich methodische Perspektiven eines Public Historians zu den vorgestellen Spielen bei und von vielen weiteren, auch kommerziellen Titeln. Die beiden Vertreter:innen des IPN konnten ihre Sicht darauf darstellen, wie sie versuchen, mit digitalen Spiele als Mitteln des Geschichtstransfers für Bildungszwecke zu experimentieren. Außerdem spannend: In der Planung – vorbehaltlich der Haushaltsverhandlungen im Sejm – befinden sich Spiele, in denen die polnische Nachkriegszeit bis 1989 behandeln wird. Der Dialog über die Anwendung digitaler Spiele als Teil der Erinnerungskulturen erscheint mir wesentlich für den Austausch zwischen Deutschen und Polen. Dabei sollten nicht nur Schüler:innen und Schüler im Blick stehen. Und er könnte ruhig häufiger stattfinden.

*