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In eigener Sache

Den Misthaufen zu Dünger machen – In eigener Sache

Mir ist nach ein paar persönlichen Worten! Die internationale Lage und der jüngste Wahlkampf haben mich wie so viele andere ausgezehrt. Die Wahlen zum Bundestag sind Geschichte, ihr Ergebnis in mancher Hinsicht historisch. Und das auf die unangenehme Art, so wie der Bruch der Nachkriegsordnung hin zu einem imperialen Großmachtgerangel. Gerade deshalb ist keine Zeit, um nachzulassen. Denn die kommende, harte Durststrecke für eine historisch-politisch aufgeklärte Gesellschaft beginnt mit diesen Epochenbrüchen gerade erst.

Versuchen wir aus dem Misthaufen Dünger zu machen: Ich engagiere mich seit Januar 2025 stärker im Verein Open History e.V. Als stellvertretender Vorsitzender in den Vorstand gewählt, versuche ich meinen Teil beizutragen, um die Kräfte für ein neues HistoCamp zu bündeln. (Bastion Netzwerk, Passion Geschichte – oder umgekehrt? Open History Blog, 21.2.2025). Denn darin sehe ich den Beitrag, den ich zum Ausweg leisten kann. Damit zieht sich ein roter Faden durch eine lange währende persönliche Haltung. Vielleicht kann ich andere mit diesem Beitrag dazu bewegen, selbst in dieser Lage etwas Positives anzustoßen…

Eine große Zahl von Menschen engagierte sich auf den Straßen, lebte demokratische Grundrechte, und musste sich von manchen sogar dafür beschimpfen lassen. Ihr Engagement findet weit weniger Gehör als randalierende Treckerfahrer. Selbst die große Welle von Menschen, die seit dem Ende der Ampel-Koalition in Parteien eintraten, blieb eine verwunderte Randnotiz. Eine Schande; liegt darin doch eigentlich ein Zeichen für die feste demokratische Grundhaltung der großen Mehrheit. Ihr Mut und ihre Kraft dürfen nicht schwinden.

Wenige wissen vielleicht, dass ich Ende der 90er politisch aktiv wurde, weil die DVU in den Kieler Landtag einzog. Bis in die 2000er brachte ich mich auf allen politischen Ebenen in einer Partei ein, die ihren sozialliberalen Geist mittlerweile zusammen mit den großen Verteidigern von Zivilgesellschaft und Bürgerrechten wie Gerhart Baum begraben hat. Was ich darin über interne Parteipolitik lernte – und im Übrigen auch bei Engagierten anderer Parteien mitbekam – schreckt mich bis heute von einem erneuten Betreten dieses Pfades ab. Und doch ließen mich die letzten drei Jahre immer unruhiger werden.

Engagement für eine freiheitliche demokratische Gesellschaft gibt es aber auch in anderen Facetten. Deshalb habe ich es als zentralen Auftrag vom Studium bis heute sehr ernst genommen, eine gesellschaftsorientierte, involvierte Geschichtswissenschaft aktiv zu betreiben, gerade weil ich Historiker bin. An der Universität Hamburg baute ich die Public History mit auf, richtete ein GameLab ein und eine umfangreiche Games-Bibliothek, die „Ludothek“. Für mich einer der wichtigsten Aspekte daran war aber die AG History Matters – eine außercurriculare Gemeinschaft, um Geschichte und Games zusammenzubringen, Analyse, Theorie und Methodik weiterzuentwickeln.

Hierarchiearm, freiwillig, außerhalb fester Lehrformen und interdisziplinär kamen darin 2013 bis 2017 Studierende und Forschende zu historischen Themen bei digitalen Spielen zusammen. Games-Entwickler stellten ihre Projekte zur Debatte, wie sie innovativ mit Geschichte umgingen. Die AG zog überregionale Gäste an, teils sogar aus den Niederlanden oder Sydney. So schuf die AG ein fruchtbares Klima, in dem Wissenschaft, Gesellschaft, Technologie und Wirtschaft in produktiven Austausch kamen. Dabei ging es nicht selten um wirklich schwierige Themen wie den Horror des Grabenkriegs in Shootern, koloniale Prinzipien in Strategiespielen oder Darstellungsweisen des Holocaust. Es entstand ein offener und fundierter Diskurs über methodische und technische Machbarkeiten und Grenzen, der den gesellschaftlichen Beitrag von Geschichte in digitalen Spielen ausleuchtete.

Zu Besuch kam schließlich Daniel Giere, der seine mittlerweile wegweisende Dissertation zu didaktischen Fragen vorstellte. Für seine Initiative bin ich ihm dankbar, zusammen mit mir und Tobias Winnerling 2015 zu einer Konferenz nach Hannover einzuladen. 10 Jahre ist es jetzt her. Sie führt den Stand und die Perspektiven der jungen geschichtswissenschaftlichen Game Studies zusammen. Schon damals ohne etablierte Professor:innen. Die Teilnehmenden erarbeiteten konzentriert ein Manifest, für welche Fragestellungen, Methoden und Perspektiven sich die Geschichtswissenschaft bei digitalen Spielen öffnen sollte.

Gemeinsam gründeten wir den Arbeitskreis Geschichtswissenschaft und Digitale Spiele (AKGWDS). Er wuchs stetig über die nachfolgenden Jahre und entwickelte einen ähnlichen Geist wie die AG History Matters: den einer Interessenvertretung, als Netzwerk für Nachwuchs in der Geschichtswissenschaft, als vereinende Ideenschmiede und interdisziplinärer Ansprechpartner innerhalb der Wissenschaft, darüber hinaus aber eben auch für Institutionen, Stiftungen, Games-Entwickler, Youtuber und Journalist:innen. Viele Projekte in Bildung, Wissenschaft und Wirtschaft profitierten massiv von diesem zugewandten Geist unter Historiker:innen für die Welt der digitalen Spiele.

Leider – und ich mache aus meinem tiefen Bedauern keinen Hehl – konnte ich nicht mehr genügend Unterstützung für den Charakter einer Interessengemeinschaft mobilisieren. Das ist persönlich enttäuschend, denn so folgte eine Abkehr von der prägenden Wirkung auf Bildungswesen, Gesellschaft und Wirtschaft. Heute wirkt der AKGWDS vorwiegend nach innen auf die akademische Vernetzung der eigenen Mitglieder und ihre Sichtbarkeit. Beliebig umfirmiert auf alle Geisteswissenschaften ist Geschichte darin nur noch eine Randerscheinung. Durch die Vielfalt der behandelten Disziplinen mangelt es an gegenseitiger theoriefester Kritikfähigkeit. Ohnehin fremdle ich damit, dass unter einer völlig unveränderten äußeren Marke eine gänzlich veränderte Zielsetzung vorangetrieben wird

Aus diesen Gründen (und wegen der begrenzten Verlässlichkeit von Professoren und Fakultäten) brach ich schmerzhaft mit der universitären Welt. Das Sozialpädagogische Fortbildungszentrum (SPFZ) in der Hamburger Sozialbehörde bot mir seit 2022 als neue reizvolle Aufgabe, ein Qualifizierungsprogramm zu digitalen Medienkompetenzen für Fachkräfte der Kinder- und Jugendarbeit zu entwickeln. Nur auf den ersten Blick hat das nichts mit historischen Inhalten und geschichtswissenschaftlicher Methodik zu tun. Fragen von Herkunft und Identität, Krieg und Nation, Muslimfeindlichkeit und Antisemitismus berühren die Lebenswelten der Jugendlichen und die Tätigkeiten der Fachkräfte der Sozialen Arbeit gerade durch digitale Technologien wie Social Media, Messenger-Dienste und digitale Spiele als Transmissionsriemen. Historisches Denken kann ein Hilfsmittel sein, um gesellschaftliche Zustände und die Wirkung digitaler medialer Werkzeuge darauf für Fachkräfte und Jugendliche zu entschlüsseln.

Je mehr also alles im Land und global aus den Fugen gerät, umso stärker wächst mein Drang, mich mit dieser Haltung wieder stärker für eine Interessengemeinschaft der Geschichtswissenschaft einzubringen. Diese Haltung für eine aktive gesellschaftsorientierte und öffentlichkeitwirksame Geschichtswissenschaft bietet der Verein Open History e.V., in dem ich vor Jahren Mitglied wurde und noch vor der Pandemie das HistoCamp in Berlin mitorganisierte. Mir ist ein Anliegen – nun im Vorstand – die großartige Idee des HistoCamp neu zu entfachen. Es war und es soll wieder ein Barcamp für die zahlreichen Akteure innerhalb der oben genannten Gruppen werden, die in ihren Arbeitsfeldern mit Geschichte umgehen, und sich innovativ fragen, wie sie die Gesellschaft damit zu einem besseren Ort machen können.

Die Histocamps brachten dafür viele kluge und bewundernswerte Menschen zusammen. Ihre Perspektiven bereicherten sich gegenseitig jenseits akademischer, schulischer, wirtschaftlicher oder journalistischer Tellerränder. Häufig noch lange danach unterstützten sie einander fachlich und förderten sich. Freudig begegneten sie sich auf dem nächsten Barcamp wieder. Sie stießen Projekte an und bauten teils sogar wirtschaftlich darauf auf. Das ist, was Open History leisten kann – und das ist, was diese Zeiten dringender denn je brauchen. Und damit knüpfe meine persönlichen Fäden der Haltung wieder daran an – in der Hoffnung, dass es einen Unterschied macht.

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